Buchweizen – das Korn aus dem Osten

Buchweizen – das Korn aus dem Osten

Buchweizen wird hier gerade als gesund-und-glutenfrei-Trendkost entdeckt. Dabei ist er ein uraltes Erbe der Menschheit. Warum wird uns nichts von dieser reichen Kultur erzählt? Und warum wird immer noch behauptet, dass man damit kein Brot backen könnte? In diesem Beitrag teile ich mit Ihnen die Ergebnisse meiner gastrosophischen Spurensuche rund um Heidenkorn, Hadn, Schwarzplenten, trigo sarraceno, Soba … und wie der Buchweizen sonst noch heißt.


Buchweizen – eine erste Annäherung

In Deutschland kennen wir Buchweizen als kleine kantige Körnchen in adretten PP-Packungen. Vielen Gesundheitsbewussten hierzulande ist er inzwischen bekannt und doch so kulturlos fremd. So irgendetwas Neues eben … und so kommt zuerst der Ruf nach Rezepten. Und das WWW ist voll davon. Doch Rezepte sind wie Klopapier. Man hortet sie, doch bleiben sie Fremdkörper in unserem Bewusstsein. Sie erwecken in uns kein Gespür für die Nahrungsmittel. Etwa so wie gepaukte Vokabeln in uns kein Gefühl für eine Sprache erwecken. So hindern uns die vielen wunderbaren Rezepte eher daran, kochen zu lernen und mündig zu werden. Das geistige Verdauen fehlt. Erlauben wir uns also ein Bad im Buchweizen.

Wie so oft in meinen Recherchen, so fand ich auch den Buchweizen überwuchert von endlos Abgeschriebenem, erdrückt von Halbwahrem und Halbgarem. Die am regelmäßigsten auftauchende falsche Behauptung ist, dass man mit Buchweizen alleine kein Brot backen könne. Nicht ahnend, dass es schlicht unmöglich ist, backe ich nun schon seit über 20 Jahren ein reines Buchweizenbrot (mehr dazu im Beitrag Bernhards Buchweizenbrot). Ebenso regelmäßig finden sich diverse Mythen über seine Herkunft. Begeben wir also zunächst auf eine kleine Reise zu den Ursprüngen der Buchweizenkultur.

Die Wiege des Buchweizens

Etliche Autoren sind noch auf dem Stand, dass man gar nicht so genau wisse, woher der Buchweizen ursprünglich stammt. Wikipedia-Autoren vermuten die Heimat des Buchweizens in »Zentral- bis Ostasien«.  Russische Autoren sind sich dagegen recht sicher, dass die Heimat des Buchweizens in den »zentralasiatischen Steppen und Ebenen Sibiriens« liegen muss. Wo auch sonst, ist doch »die russische Küche … ohne Buchweizen unvorstellbar«, wie zwei russische Food-Blogger erklären. Ich respektiere diese Verbeugungen vor den kleinen kantigen Körnchen. Auf der Suche nach dem wirklichen Ursprung müssen wir jedoch noch weiter nach Osten vordringen.

Ohmi Ohnishi hat die Verbreitung des Buchweizens anhand genetischer Merkmale zurückverfolgt. Nach seinen Erkenntnissen sind die Himalayahänge im Nordwesten von Yunnan die Wiege des Buchweizens (Ohmi Onishi – Search for the wild ancestor of buckwheat III. The wild ancestor of cultivated common buckwheat, and of tatary buckwheat, 1998) Von Yunnan aus reiste der Qiáo (chin.) in den Packsäcken der Händler und Reiter dann in alle Himmelsrichtungen.

Älteste Buchweizenfunde

Dazu passt es zunächst recht gut, dass es prähistorische Buchweizenfunde aus der benachbarten Region von Chamdu in Osttibet gibt. Diese Funde datieren auf die Zeit um 2600 v. Chr. und belegen den Anbau in dieser Region. Ausgehend von diesen Funden wird nun gerne gefolgert, dass Buchweizen erst seit etwa 4600 Jahren kultiviert wird. Matsuo Tsukuda et al. (Oldest primitive agriculture and vegetational environments in Japan, 1986) berichten jedoch davon, dass Soba (jap.) bereits ab 6600 v. Chr. in Japan kultiviert wurde. Dorthin kam er wiederum bereits über Handelsbeziehungen. Somit muss er in Yunnan noch deutlich früher angebaut worden sein. Damit gehört er auch zu den ältesten Kulturpflanzen überhaupt – ein Erbe der Menschheit.

Nach Westen gelangte der Buchweizen entlang der Seidenstraße. Mit genetischen Vergleichen der Kulturvarietäten konnte Ohnishi diese stille Wanderung nachzeichnen. Handel und Anbau gingen wohl Hand in Hand. Von den Tibetern übernahmen Kirgisen, Tadschiken und Usbeken den Anbau der Nüsschen. Im 7. – 3. Jh. v. Chr. war der Buchweizenanbau bereits bis zu den Skythen nördlich des Schwarzen Meeres vorgedrungen.

Europa und der Buchweizen

Obwohl der Buchweizen damit bereits vor der Zeitenwende an den Rändern Europas präsent war, wurde er nicht übernommen. Erst ab dem 12. Jahrhundert sickerte der Buchweizenanbau schließlich doch aus Russland über Polen nach Deutschland ein. Erstmals schriftlich erwähnt wird er gegen Ende des 14. Jahrhunderts (Leinetal, 1380, und Nürnberg, 1396). Von hier verbreitete sich das Heidenkorn allmählich nach Frankreich, Spanien und in die Alpenländer.

Ab dem 16. Jahrhundert wurde Buchweizen dann in ganz Europa dort angebaut, wo die Sommer zu kurz oder die Böden zu schlecht für Getreide waren. (Udelgard Körber-Grohne – Nutzpflanzen in Deutschland von der Vorgeschichte bis heute. Theiss, Stuttgart 1995). Auch als Zwischenfrucht wurde zeitweise gerne Buchweizen angebaut. Mit der Industrialisierung der Landwirtschaft verschwand der Anbau in Deutschland jedoch wieder.

Das Korn mit den vielen Namen

Bei meinen Recherchen ist eines für mich sehr auffallend: die vielen europäischen Namen für den Buchweizen. Das ist doch verwunderlich, wo der Kraftspender der Bergler und Moorbauern allenfalls eine Randerscheinung der europäischen Esskultur sein soll. (Auch dies ist wohl nur ein Narrativ, wie ein Zeitzeugenbericht aus der Eifel zeigt.) Und doch erzählen uns diese Namen leise Geschichten darüber, wie sich die Welt in unser Essen einmischt. Und es hilft ungemein bei der Suche nach tradierten Buchweizen-Rezepten, eben diese Namen zu kennen (mehr dazu im Beitrag Buchweizen in der Küche – noch nicht verfügbar).

Heidekorn, Heidenkorn, Hoad, Hadn …

Weit verbreitet war es, den Buchweizen als heidnisch – gleich unchristlich – zu brandmarken. Noch deutlicher verweisen Namen wie Sarazenerweizen, Trigo sarraceno (span.), grano saraceno (ital.) den Buchweizen in die Welt der Andersgläubigen. Als Sarazener verstand man im Mittelalter nicht ein bestimmtes Volk. Vielmehr wurde der Begriff für Muslime ganz allgemein verwendet. (vgl. Hannes Steiner – Sarazenen, 2012) Das ist ebenso propagantistisch, als würde man heute vom »Islamistenweizen« oder vom »Verschwörungstheoretiker-Korn« sprechen.

Das aufrechte Korn

Dass ausgerechnet dieses kulinarische Kleinod in den Schmutz getreten wurde, ist natürlich kein Zufall. Das schwarze Welschkorn hat sich über die Jahrtausende sehr ursprünglich erhalten. So ist die Befruchtung des sarrasin (frz.) bis heute eine unsichere Sache und so schwanken auch die Erträge erheblich. Im Gegensatz zu den glutenhaltigen Getreiden reift der Buchweizen noch immer folgernd ab. Er muss deshalb geerntet werden, während er noch blüht. Es braucht dabei Erfahrung, um den richtigen Erntezeitpunkt zu bestimmen. Man konnte ihn also als unzuverlässig, eigensinnig, rebellisch, rückständig beschreiben.

Im Kunstmärchen »Der Buchweizen« (1862) benutzt Hans Christian Andersen diese Zuschreibungen weidlich. »Der Buchweizen neigte sich durchaus nicht, wie das übrige Getreide, sondern prangte stolz und steif. … ‚Nun kommt des Sturmes Engel geflogen! Er hat Schwingen, die reichen oben von den Wolken bis gerade herunter zur Erde, und er schlägt Dich mitten durch, bevor Du bitten kannst, Dir gnädig zu sein!‘ … Als das böse Wetter später vorbei war, standen die Blumen und das Getreide in der stillen reinen Luft ganz erfrischt vom Regen; aber der Buchweizen war vom Blitz kohlschwarz gebrannt.« Schon den bürgerlichen Kindern wurde so Untertänigkeit als angemessene Grundhaltung eingeängstigt. Wer aufrichtig bleibt wie der Buchweizen, wird von einer Allmacht bedroht. Wer sich duckt, wird belohnt.

Im Buchweizen verband sich Andersgläubigkeit mit rebellischer Gesinnung und Unzuverlässigkeit. Die Guten und Rechten aßen deshalb Brot. Diese Zuordnung ging soweit, dass auf die Buchweizenernte auch kein Zehnt abzuliefern war. Bei Hadnsterz und Schwarzplenten sammelten sich deshalb vor allem die, die sich gar kein tägliches Brot leisten konnten. Menschen, die unter schwierigen Bedingungen lebten, wurden so auch sozial ausgegrenzt. Damit hat sich eine Art Kastensystem etabliert, das die Menschen nach ihren Essgewohnheiten unterscheidet.

Das Heidenkorn ist mithin ein beredtes Beispiel, wie abendländisches Vormachtsdenken und hierarchische Strukturen auch am Esstisch festgeschrieben werden.

Der falsche Weizen

Ein zweiter roter Faden ist die Zuschreibung einer Minderwertigkeit. Türkischer Weizen, Welschkorn ist dem Weizen gesundheitlich sogar überlegen. Und doch wird hier Unechtheit – und damit Minderwertigkeit – ausgedrückt. Selbst in Buchweizen kommt das »Buch« wohl nicht von der Buche, wie allgemein behauptet wird. Im Mittelhochdeutschen heißt die Buche »buoche«, davon abgeleitet »beech« (engl. Buche). »boek« hingegen bedeutet Bock. Im Englischen »buckwheat« ist diese Wortherkunft noch besser sichtbar. Das Wort »Buchweizen« bedeutet also »Bocksweizen«, gleich »minderer Weizen«.

Dieser europäischen Geringschätzung steht die ungebrochene Wertschätzung des Buchweizens in China, Tibet, Japan, Russland, Ukraine, Polen und weiteren Regionen der Erde gegenüber (F. J. Zeller – Buchweizen (Fagopyrum esculentum Mönch): Nutzung, Genetik, Züchtung). Diverse Buchweizengerichte sind dort regional hochgehaltene Esstraditionen. Buchweizennudeln (Soba) sind sogar ein Nationalessen in Japan. Dort steht der Buchweizen für Veränderung und Soba-Nudeln werden bei wichtigen Anlässen serviert.

Buchweizen in der bildenden Kunst

Auch die europäische Kunst hat den Buchweizen über Jahrhunderte hinweg regelrecht totgeschwiegen. Auf keinem historischen Bild ist mir das markante Korn je begegnet. Auch die Pracht blühender Buchweizenfelder wurde nicht wert erachtet, gemalt zu werden. Die klassische Malerei war natürlich vor allem PR für die herrschende Klasse. Die Künstler arbeiteten im Auftrag der Adeligen, Reichen und des Klerus. Diese herrschende Schicht wollte sich sowohl von den Kleinen Leuten als auch von den konkurrierenden Mächten abgrenzen. Entsprechend wollten sie den Sarazenerweizen auch nicht an ihren Wänden haben.

Doch auch den späteren Kunstschaffenden ist das Heidenkorn noch keinen Pinselstrich wert. Dabei war der Buchweizenanbau bis Ende des 19. Jahrhundert bedeutsam in Deutschland. Er war also in den Heidelandschaften und Bergregionen häufig. Und in eben dieser Zeit entstanden zahllose bäuerliche Szenen und Landschaftsbilder. Doch der Buchweizen taucht auf den Bildern bekannter deutscher Genre-Maler nicht auf. Auch die Impressionisten sind noch vorübergegangen an der Schönheit blühender Buchweizenfelder.

Der Postimpressionismus entdeckt den Buchweizen

Dieses Schweigen der Kultur endet in Deutschland erst Ende des 19. Jahrhunderts. Inmitten der Moor- und Heidelandschaft von Worpswede war der Buchweizen allgegenwärtig. Und Malern wie August Friedrich Overbeck (Buchweizenfelder am Weyerberg, 1897 (Titelbild des Beitrags); Blühendes Buchweizenfeld, 1900) war die Anmut des blühenden Heidekorns endlich Farbe und Leinwand wert. Auch Rainer Maria Rilke erwähnt das Heidenkorn immerhin bei seinen Aufenthalten in Worpswede (Rainer Maria Rilke – Briefe und Tagebücher aus der Frühzeit 1899 bis 1902, 1933).

Anmerkung: Falls Sie Kenntnis haben von Werken europäischer Künstler, die Buchweizen abbilden, freue ich mich über Ihren Kommentar.

Im Internet habe ich eine Fotostrecke von blühendem Buchweizen in Nordvietnam entdeckt. Überzeugen Sie sich also selbst von dieser außergewöhnlichen Ästhetik.

Aktuell besinnen sich erste Bauern in Deutschland wieder auf den Buchweizenanbau. In »Mutige Bauern in der Heide« (NDR Doku, Upload 29.05.2020) wird neben anderen Projekten ein Bauer vorgestellt, der Buchweizen anbaut … leider bislang nur für seine Hühner. Immerhin gibt es auch in diesem Beitrag schöne Kamerafahrten über blühende Buchweizenfelder und einen ersten Eindruck von der Kultur.

Buchweizen in der Küchenkultur

Der Buchweizen ist uns also nicht als glorreiches Erbe der Reiter Dhingis Khans geblieben. Auch die Sarazenen haben uns nicht die braunen Nüsschen hinterlassen gleich dem Kaffee. Vielmehr ist er mühselig auf den Wagen der Händler aus dem Osten nach Deutschland gerumpelt. Still und bescheiden hat er hier den Hunger der Sandler, Bergler und Moorbauern besänftigt. Abseits der Berge und Torfstiche war er hingegen nur Streckmehl im immer knappen Brot. Behaftet mit dem Makel des Minderen und Unchristlichen wurde er hierzulande auch nicht gern gesehen auf den Tafeln der Reichen.

So fehlt den tradierten Buchweizengerichten in Europa die Finesse. Pfannkuchen, Plinsen und Grütze dominieren die regionalen Buchweizenspezialitäten; gefolgt von Panhas, Buchweizensterz und -polentagerichten. Buchweizennudeln und -gebäck sind rare Erscheinungen.

Solche tradierten Gerichte findet man heute noch in der Steiermark und Tirol, in der Lüneburger Heide, in der Eifel, im Hunsrück, in Oberfranken. Auch im Tessin, in der Bretagne und vermutlich einigen weiteren Gegenden Europas haben sich Buchweizengerichte erhalten.

In Polen, Russland und anderen östlichen Regionen erfreuen sich Buchweizengerichte einer ungebrochenen Beliebtheit. Auch weiter östlich gibt es traditionelle Buchweizengerichte und -gebäck. So backt man in Indien Chapatis und Rotis auch aus Buchweizen. In China schätzt man neben Nudeln auch eine Art Gelee aus Buchweizen. Für Japaner schließlich sind die Buchweizennudeln sogar ein Nationalgericht und in aller Munde.

Buchweizen in der postmodernen Küche

In der modernen Küche gesellt sich nun einiges Neues hinzu. So entdeckte ich auf spanischen Websites diverse ansehnliche Buchweizenbrote und Risotto-Gerichte mit Buchweizen. Es gibt neue Produkte wie Buchweizenpops. Körniger Buchweizen wird als Beilage kombiniert, als Fülle für geschmorte Gemüse verwendet. Brownies, Bisquit, karamellisierter Buchweizen … auch eine große Auswahl von süßen Speisen ist online verfügbar. Und natürlich werden tradierte Rezepte neu interpretiert. Es geht weg von der fetten Landarbeiterkost hin zu leichteren, eleganteren Versionen. Auch das Buchweizenkraut wird regional als Gemüse geschätzt.

Freilich ist das vielfach nicht sprachbarrierefrei, so dass ich mich im Beitrag Buchweizen in der Küche (noch nicht verfügbar) der Zubereitung widme.